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Potsdam Museum - Forum für Kunst und Geschichte Gaststätte Seekrug

Gaststätte Seekrug

Die 1936/37 erbaute Gaststätte „Seekrug“ am Templiner See ist das letzte vor 1945 vollendete Bauprojekt des Stadtarchitekten Mohr. Schon das Innere durfte er entgegen der bisherigen Praxis nicht mehr ausführen, dies übernahm der Architekt Gerhard Winkler (1898-1975). Die Gaststätte wurde für ihren Initiator, den NS-Oberbürgermeister Hans Friedrichs (1875-1962), zu einem unkalkulierbaren Prestigeobjekt. Plante Mohr im September 1935 dafür 75.000 RM ein, so lag die Bausumme am Ende bei 273.400 RM.

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Vogelperspektive der Gaststätte Seekrug

„Folgende Gründe haben mich dazu bestimmt, auf dem Sportplatz Luftschiffhafen eine dritte städtische Gaststätte unter dem Namen „Seekrug“ zu errichten.“ Damit eröffnete im Mai 1936 Oberbürgermeister Friedrichs „als Schöpfer des Gedankens“ gegenüber seinen Ratsherren die Absicht, eine „Volksgaststätte“ am Templiner See bauen zu lassen. Dann nannte er genau zwei Gründe: Erstens den „nach Stille sich Sehnenden (…) eine ruhige idyllische Erholungsstätte“ zu bieten. Zweitens sei er seit Jahren schon bemüht, „die unter der Eisenbahnunterführung in der Zeppelinstraße (…) befindliche, der Reichsbahndirektion gehörige Gaststätte („Stadtbahnbogen“) stillzulegen“. An der Ecke zur Jahn- bzw. heutigen Forststraße gelegen, stelle sie für ihn eine „Verkehrsunsicherheit“ dar. Geplante Kosten der inszenierten Selbstlosigkeit: 140.000 RM. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Mohr bereits mehr als ein halbes Jahr an dem Projekt, ohne von Friedrichs oder der NS-Tagespresse je öffentlich dafür erwähnt zu werden. [Thomas Sander] Blattangaben: u.l.: Fischer-Krug am / Templiner – See. / Potsdam 19./6. 36. / Mohr / Erster Entwurf.

Entwurf zur Vorderfassade der Gaststätte Seekrug

Im September 1935 präsentierte Stadtarchitekt Mohr erste Skizzen zu einem – wie es da noch hieß – „Schifferhaus“ am Templiner See. Die Zeichnungen zeigen ein zweigeschossiges Haupthaus mit einem anschließenden Saalbau, beides mit Stulpschalung und Walmdächern. Die Architektur ist geprägt von jener gemäßigten Moderne, wie sie Mohr schon bei anderen Bauten auf dem Luftschiffhafen, etwa dem Regattahaus, anwandte. Seine Kalkulation belief sich auf 75.000 RM. „Dem Wunsch des Hr. OBM., alles was in die Zeit seines Bauens fällt, mit gelben Steinen aufzuführen“, habe er teilweise entsprochen, doch ziehe er für das Landschaftsbild an dieser Stelle einen Holzbau vor. Oberbürgermeister Friedrichs lehnte im Januar 1936 diesen Entwurf rundweg ab und verlangte umgehend neue Pläne. Nun musste Mohr sich auf den von Friedrichs bevorzugten Heimatstil einlassen und präsentierte im März des Jahres den vorliegenden Entwurf im niedersächsischen Fachwerkstil, dessen Kosten sich nun auf 127.500 RM erhöhten. [Thomas Sander] Blattangaben: o.l.: Neue Gaststätte Luftschiffhafen / M. 1:50.; u.r.: Potsdam, den 21.3.1936 / Städt. Bauverwaltung / Stadtbaurat / Mohr Stadtarchitekt /

Entwurf zu den Giebeln der Gaststätte Seekrug

Die im März 1936 von Mohr gefertigten Entwürfe zum Seekrug, zu denen auch die vorliegenden Giebelansichten gehören, wurden im Mai vom Oberbürgermeister abgelehnt. Daraufhin erfuhren sie vor allem im Inneren etliche Veränderungen, häufig auch auf Wunsch des künftigen Pächters der Gaststätte. So notierte Mohr am 7. April 1936, dass derselbe seine Küche vergrößert haben möchte, womit der Bau beidseitig um je eine Achse verlängert werden muss. Die zusätzlichen Kosten: 15.000 RM. Auch General Friedrichs hatte so seine Vorstellungen und veranlasste, so Mohr am 23. Mai 1936, „dass „die Ansicht nach dem Wasser nicht nach dem inneren Charakter des Hauses sondern willkürlich davon gleichmäßig aufgeteilt werden“ soll. Damit aber waren die bislang in einem Anbau geplanten Wirtschaftsräume nun im Haupthaus hinter einer symmetrischen Fassade zu integrieren. „Ferner sollen die Balkone wegfallen“. Zwar wird der südliche dann doch beibehalten, aber Mohr sieht sich gezwungen, ständig neue Pläne zu liefern. [Thomas Sander] Blattangaben: o.l.: Neue Gaststätte Luftschiffhafen / u.r.: Potsdam, den 5.3.1936 / Städt. Bauverwaltung / Fr(itsch) Stadtbaurat / Mohr Stadtarchitekt.; unter den beiden Giebel-Darstellungen: nicht ausgeführt;

Längsschnitt durch die Gaststätte Seekrug

In der NS-Presse wurde der Seekrug schon weit vor seiner Fertigstellung geradezu als ein Idyll aus einer anderen Zeit verklärt. So heißt es in der „Potsdamer Tageszeitung“ vom 2. Februar 1937: „Aus Bäumen des Waldes zu zweckvoller Schönheit gestaltet, steht dieses Holzhaus in der märkischen Landschaft, und gekreuzte Pferdeköpfe nach der Art, wie einst die Langobarden sie an ihren Häusern zu befestigten pflegten, werden als nordisches Symbol die Giebelenden des Seekruges schmücken.“ Etwas weniger poetisch lesen sich dagegen die Ausschreibungstexte, in denen zwar auch von Fachwerk, Reetdeckung und Schnitzereien die Rede ist, mehr noch aber – und das lässt sich auch im Schnitt erkennen – von Betonböden, Steineisendecken und Glaswolle-Isolierungen. Dazu kommt jede Menge Technik, von der Hebeanlage im Keller, über Rückluftkanäle und Warmluftverteiler unter den Sitzbänken bis hin zum Industrielüfter im Spitzboden. Und Siemens lieferte eine Radioanlage mit Lautsprechern in allen Gasträumen. [Thomas Sander] Blattangaben: o.l.: Neue Gaststätte Luftschiffhafen / u.r.: Potsdam, den 5.3.1936 / Städt. Bauverwaltung / Fr(itsch) Stadtbaurat / Mohr Stadtarchitekt

Isometrische Darstellung der Gaststätte Seekrug

Diese Perspektive des Seekrugs zeigt den Stand des Entwurfs unmittelbar vor den im Mai 1936 durch Otto Haupt, dem künftigen Pächter der Gaststätte, veranlassten Umplanungen. Dabei wurde unter anderem der Bau an beiden Enden um über zwei Meter verlängert. Grund war eine Vergrößerung der am Südgiebel gelegenen Küche, da sie von Haupt, der bis dato die Gaststätte im Regattahaus betrieb, aus seiner langen Erfahrung heraus als zu klein befunden wurde. Oberbürgermeister Friedrichs, der Asymmetrien nicht mochte, ordnete daraufhin die Verlängerung auch auf der Nordseite an. Er meinte, dass dies auch in wirtschaftlicher Hinsicht nur zu begrüßen sei, „weil hierdurch die Fläche des Gastraumes um 50 Plätze vermehrt“ werde. Am selben Tag, als Friedrichs das sagte und das Haus wieder einmal umzuplanen war, veröffentlichte die „Potsdamer Tageszeitung“ eine fast identische Zeichnung des Seekrugs aus Mohrs Hand, natürlich ohne ihn zu erwähnen. Der Untertitel des Artikels lautet: „Neuerung am Templiner See“. [Thomas Sander] Blattangaben: o.r.: Mohr 29/3.

Erdgeschossgrundriss der Gaststätte Seekrug

Im Oktober 1936 präsentierte Stadtarchitekt Mohr einen Satz neuer Bauzeichnungen zum Seekrug, darunter auch diesen Erdgeschossgrundriss. Seit Mai des Jahres war dies die dritte komplette Umarbeitung des Projekts, wozu nicht nur detaillierte Zeichnungen, sondern auch sämtliche Kostenanschläge gehörten. Nicht nur vom Oberbürgermeister, auch vom Pächter der Gaststätte kamen immer wieder Änderungswünsche, ob in der Küche, beim Ausschank oder im Bereich der Büffets. Dies führte schon vor Beginn der Bauarbeiten zu erheblichen Fristverzögerungen und Mehrkosten. Kalkulierte Mohr den Bau im September 1935 noch mit 75.000 RM, so veranschlagte Friedrichs ihn gegenüber den Ratsherren im Mai 1936 mit 140.000 RM. Im August lagen die Gesamtkosten laut Pachtvertrag bereits bei 165.000 RM. Der Grundriss veranschaulicht die besondere Herausforderung für Mohr, in einem äußerlich kompakten und absolut symmetrischen Baukörper die verschiedensten Funktionsbereiche einer Gaststätte integrieren zu müssen. [Thomas Sander] Blattangaben: o.l.: Seekrug Luftschiffhafen – M. 1:50 / u.l.: Erdgeschoß / u.m.: ausgeführt. / u.r.: Potsdam, d. 20.10.1936 / Städt. Bauverwaltung / Stadtbaurat / Kr(uschwsky) Mag.-Baurat / Mohr Stadtarchitekt / Gensch.

Reinhold Mohr vor dem Südgiebel des Seekrugs

Das Foto zeigt Reinhold Mohr am Tag nach dem Richtfest auf der Baustelle, daher die Hakenkreuzfahne im Hintergrund. Politisch stand der parteilose Architekt den Nazis jedoch distanziert gegenüber. Dies führte dazu, dass General Friedrichs ihn nach dem Seekrug mit keinem Projekt mehr beauftragte. Aufgrund mehrfacher Umplanung begann der Bau erst Ende Oktober 1936 mit der Wasserabsenkungsanlage durch die Fa. Dressler. Die Folge war, dass die Maurer bis Ende Dezember bei Temperaturen um 0° Celsius im Kellerbereich arbeiteten. Danach richteten ab dem 9. Januar 1937 die Zimmerleute der Fa. Tuchscherer & Krüger die ersten Hölzer bei -5° Celsius; und vom 19. bis 23. Januar mussten die Arbeiten sogar wegen „des großen Frostes und der Schneeverwehungen“ unterbrochen werden. Die Temperaturen sanken teilweise auf -15° Celsius. Am 2. Februar, als diese Aufnahme entstand, waren die Zimmerer noch mit Ergänzungsarbeiten befasst; vier Tage später begannen die Dachdecker bereits mit der Reetdeckung. [Thomas Sander]

Wasserseite des Seekrugs

Zu sehen ist der Seekrug vier Tage vor der Eröffnung am 28. August 1937. Der Termin musste mehrmals verschoben werden, weil sich die Arbeiten an den Außenanlagen, teilweise ausgeführt von der Gartenbaufirma Karl Förster, hinzogen. Es nützte auch nichts, dass General Friedrichs sich persönlich des Öfteren auf die Baustelle begab, um nach dem Rechten zu sehen. Als der Pächter Mitte Juni um einen neuen Eröffnungstermin bat – im Pachtvertrag war der 1. April 1937 avisiert worden – reagierte Friedrichs in einer Randbemerkung ungehalten: „Was soll das ganze Geschwätz! Soll ich immer wieder wiederholen, daß 1.) ich heute wieder da war u. das Haus noch nicht annähernd fertig ist, 2.) daß die Bauverwaltung noch vielerlei zu machen hat (Umwehrung, Parkplatz, Zufahrtsweg, Plätze besonders auch im Schatten u.s.w.) Heute ist der 21. Juni. Ich glaube nicht, daß wir in 3 Wochen fertig sind.“ Friedrichs sollte Recht behalten und der Pächter das Nachsehen, denn das Sommergeschäft war damit erledigt. [Thomas Sander]

Blick in den Großen Saal nach Norden

Am 22. Mai 1936 notierte Mohr: „Besprechung bei Hr. OBM in Gegenwart von Arch. Winkler, Stbrt. (Stadtbaurat Fritsch), Mbrt. (Magistratsbaurat Kruschewsky), Dr. Bestehorn pp. Ausführung nach dem Entwurf, jedoch Inneneinrichtung soll von Arch. Winkler gemacht werden.“ Was hier so lapidar klingt, muss tief gekränkt haben. Mohr war es gewohnt, die Bauten, mit denen er beauftragt war, vollständig zu konzipieren, außen wie innen. Zu nennen wären u.a. das Regattahaus (1925) und das Wasserwerk III in Eiche (1929-1932). Seine Arbeit als Innenarchitekt zeigte stets konstruktives Ingenium wie künstlerisches Gespür. Folgerichtig entwarf er daher auch den Großen Saal im Seekrug. Doch für Friedrichs war Mohr nur ein parteiloser Angestellter mit Hang zum „Bauindividualismus“. Architekten wie von Estorff und Winkler schienen ihm viel näher, da sie sich willfährig gaben und seine Vision von einem „Neupotsdamer Stil“ teilten. Der General konnte sie leichter lenken – und sie dabei gute Geschäfte machen. [Thomas Sander] Blattangaben: u.r.: Mohr 14./2.36

Blick in den Großen Saal nach Norden

Das Foto zeigt den Großen Saal im Seekrug. Die Blickrichtung ist dieselbe wie auf der Innenraumperspektive vom Februar 1936 (vgl. AT-2016-10). Auch wenn der Architekt Gerhard Winkler (1898-1975) die Ausstattung entwarf, so stammt das Grundkonzept des Saales mit Holzständern und Balkendecke von Reinhold Mohr. Mehr noch, er war auch am Innenausbau beteiligt. So notierte Mohr am 19. März 1937 ins Bautagebuch: „Besprechung mit H. Winkler über Be- u. Entlüftungsanlage. Für oberen Saal u. unteren kleinen Saal kommen durchlochte Bleche bündig mit der Wand liegend zur Verwendung. (…) Wo nicht Lüftung dahinter schwarz gestrichenes Sperrholz. Radio über den Türen im oberen u. unteren Saal.“ Mohrs Beitrag lag also hinter den Verkleidungen. Davor inszenierte Winkler mit Sitzmöbeln des „Deutschen Heimatwerks“, Holzbalkenkronen der Fa. Günter Schulz sowie Schnitzereien von Alfred Kalkowski und Theo Bechteler ein nach außen hin als „fränkisch-bäurisch“ gepriesenes Paradestück reinsten Blut- und Boden-Stils. [Thomas Sander]

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