Alexandrowka Nr. 11 bei Schischkoffs, Sommer 1832, gegen Mittag
Erst starb ihr Mann Wassili, damals im April 1833. Zu der Zeit war sie hochschwanger und rechnete jeden Tag mit der Geburt ihres vierten Kindes. Der Arzt, der den Verstorbenen untersuchte, vermerkte als Todesursache die Schwindsucht! Schwindsucht? Wilhelmine entringt es ein bitteres Lachen, wenn sie daran denkt. Ihr Wassili, dieser Taugenichts, ist doch wohl eher an der Trunksucht zugrunde gegangen und was das betrifft, war er beileibe nicht der einzige in der Kolonie. Wie oft kam er schwankenden Schrittes nach Hause, unsicher an den Wänden entlang tastend, polternd und gröhlend, nur um sich unter Mühen vor ihr aufzubauen und sie zum Teufel zu wünschen. Sein Haar hing ihm dann schweißverklebt in die Stirn und die darunter liegenden Augen versuchten sie aus tiefen Höhlen heraus zu fixieren. Roten Flecken blühten unheilvoll auf dem bleichen, ausgemergelten Gesicht und wenn Wassili die mit Alkohol gemischte Wut zu sehr überspülte, dann schlug er sie, einmal, mehrmals, auch vor den Kindern, bis er müde wurde und von ihr abließ. Dies geschah recht schnell und wenn er diesen Zustand erreicht hatte, kauerte er sich vor sie hin, umgriff ihre Hände und flehte sie um Verzeihung an und jammerte, daß er lieber an der Front im Kugelregen stünde, als dieses Leben weiter mitzumachen, das doch kein würdiges sei für einen ehrlichen Soldaten wie ihn. Wilhelmine nickte dann verständnisvoll, ohne ihn wirklich zu verstehen und sie verzieh ihm mit dürren Worten, wobei ihre Augen zu den verschreckten Kindern herüberirrten. Das war nicht immer so. Als Wilhelmine den russischen Grenadier Wassili Iwanowitsch Schischkoff kennenlernte, war er für sie trotz seines kärglichen Solds, welchen er durch die Ausübung seines Schneiderhandwerks etwas aufzubessern sich bemühte, eine durchaus ansehnliche Partie. Im Frühjahr 1818 haben sie gleich zweimal geheiratet, erst nach ihrem, dem evangelischen, und dann nach seinem, dem russisch-orthodoxen Glauben.
Wassili war nicht groß, aber recht kräftig, und über seinem blassen Gesicht trug er volles blondes Haupthaar. Selbst seine Augenbrauen schimmerten golden. Die platte Nase verlieh seinen Zügen etwas Bäuerlich-derbes, doch war er beileibe kein Dummkopf. Darüber hinaus hatte er eine angenehme Stimme und das nicht nur beim Singen.