Eduard Gaertners Stadtansichten von Berlin, Paris und Moskau gehören zu den Hauptwerken der realistischen Malerei des deutschen Biedermeier. Sie sind zugleich Zeugnisse der wichtigsten Stationen seines Lebens. Reisen führten ihn unter anderem 1825 bis 1828 nach Paris, wo er seine Ausbildung vollendete. In der 1826 entstandenen Ansicht der Rue Neuve-Notre-Dame in Paris wählte Gaertner keine Hauptansicht der Kirche oder der Île de la Cité, wie er sie in verschiedenen anderen Gemälden wiedergab. Gezeigt wird ein Durchblick durch die kurze Rue Neuve-Notre-Dame auf die mittelalterliche Kirche, die nicht in ihrem ganzen Ausmaß, sondern nur ausschnittweise, im Hintergrund, zu erkennen ist. Es ist ein sehr beiläufiger Blick, der nur wenig von der Bebauung der schmalen Straße und der Kirche zu erkennen gibt. Fast gleichberechtigt im Vordergrund des Interesses stehen genrehafte Motive - das alltägliche Treiben auf der belebten Straße - sowie die atmosphärische Stimmung, das Spiel von Licht und Schatten auf der Architektur. Das Gemälde Gaertners vermittelt dem Betrachter einen Blick auf die historische Bebauung von Paris, wie sie heute nicht mehr existiert. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts musste die Straße einem weitläufigen Vorplatz der Kirche weichen. König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, der zu den wichtigsten Förderern und Auftraggebern des Künstlers gehörte, ließ das Bild 1827 ankaufen.
A. Bauer
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